Umgang mit Verletzungen am vorderen Kreuzband

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Verletzungen am vorderen Kreuzband (VKB) sind extrem häufig und kostenintensiv, sowohl bei Sportlern als auch bei der Allgemeinebevölkerung. Die häufigsten Verletzungsmechanismen sind Kombinationen aus Verdreh-, Einknick- und Schubbewegungen bei fixiertem Fuss. Weitere Verletzungsmechanismen sind direkte Traumen oder übermässige Beansprungung infolge einer missratenen Sprunglandung, Knieüberdehnung oder der direkte Kontakt mit Gegnern bei gewissen Mannschftssportarten.

Eine VKB-Verletzung kann folgende Symptome verursachen:

  • Plötzlich auftretender Schmerz oder ein knackendes Geräusch im Knie

  • Schwellung und Beschwerden im Knie binnen 24 Stunden nach der Verletzung

  • Einknicken des Knies zum Zeitpunkt der Verletzung oder wiederholt auftretendes Problem mit Einknicken nach der Verletzung

  • Eingeschränkter Bewegungsumfang des Knies

  • Empfindlichkeit im Gelenklinienbereich

  • Beschwerden oder Schmerzen beim Gehen

Die klinische Diagnose bei Verdacht auf eine VKB-Verletzung wird in der Regel mit einer Kombination aus Verletzungsmechanismus, Bericht des Patienten über Einknicken sowie einem positiven Lachman- oder Pivot-Shift-Test gestellt und sodann mit einer MRT Aufnahme bestätigt.  

Seit vielen Jahren ist es gängige Praxis, Patienten mit VKB-Verletzungen operativ zu behandeln, um wieder zu einem hohen Aktivitätsniveau und Sportarten mit Drehbewegungen zurückzukehren. Angesichts aktueller Erkenntnisse zur Höchstqualität werden diese fest verankerten Standards allerdings inzwischen hinterfragt. Dabei zeigt sich, dass sich die Wirkung einer konservativen Behandlung, bestehend aus Physiotherapie und Bewegung, und einer operativen Rekonstruktion nicht unterscheiden (Frobell et al 2013, Delincé und Ghafil 2013, Smith et al 2014). In einer vergleichenden Untersuchung mit einem Follow-up Zeitraum von fünf Jahren ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Betroffenen, die sich einer operativen Rekonstruktion unterzogen, und jenen, die mit Physiotherapie und Bewegung behandelt wurden bezüglich Schmerzen, Funktionalität, Fähigkeit zur Rückkehr zu einer Sportart mit Drehbewegungen, Lebensqualität und Meniskusoperation (Frobell et al. 2013). Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass viele Patienten nach einer konservativen Behandlung wieder ein hohes Aktivitätsniveau, inkl. Sportarten mit schnellen Richtungswechseln, Drehbewegungen und Sprüngen, schmerzfrei und ohne Instabilitätssymptome aufnehmen können (Hurd et al. 2009, Grindem et al. 2012).

Aufgrund unserer Ausbildung und unseres Fachwissens über die Behandlung von Schmerzen und muskuloskelettalen Beschwerden sind wir Physiotherapeuten am besten in der Lage, eine Erstbeurteilung und Behandlung von Betroffenen mit VKB-Verletzungen vorzunehmen. Das Wiedererlangen der funktionellen Stabilität des Knies, um die beeinträchtigte mechanische Kontrolle auszugleichen, ist ein integraler Bestandteil der VKB-Rehabilitation. Zentrale Aspekte der VKB-Rehabilitation sind Elemente von Kraft- und Ausdauertraining in Verbindung mit neuromuskulärer Kontrolle und propriozeptivem Training. Kraft und Ausdauer sollten nicht ausschliesslich auf den Quadrizeps ausgerichtet sein.

Beim Ansatz der kinetischen Kette der unteren Extremitäten wird der Fokus auch auf eine Stärkung der Waden-, Gesäss und Rumpfmuskeln gelegt. Kraftübungen an Geräten wie BOSU Bällen, Schaumstoffmatten und Minitrampolinen dienen dazu, den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen, um so die neuromuskulären und propriozeptiven Systeme zu trainieren. Das ist insofern für ein VKB-defizitäres Knie erforderlich, als Betroffene damit die funktionelle Kontrolle und das Vertrauen in ihr verletztes Knie wiedergewinnen können. 

Um die Heilung und den Wiederaufbau nach einer VKB-Verletzung beurteilen zu können, greifen Physiotherapeuten in der Regel zu funktionellen Leistungstests, wie etwa Sprungtests. Solche funktionellen Leistungstests können wertvolle Erkenntnisse über das zukünftige Risiko von Kniesymptomen, eingeschränkter Lebensqualität, VKB-Ruptur und anderen Knieverletzungen liefern. Sie bilden einen wesentlichen Bestandteil der klinischen Entscheidung über den richtigen Zeitpunkt für den Übergang in die jeweils nächste Rehabilitationsphase, wie etwa die Rückkehr zum Sport nach einer VKB-Verletzung bei Athleten.

1. Weitsprung

1. Weitsprung

2. Querdreisprung auf Weite

2. Querdreisprung auf Weite

3. Kniebeugen Einzelbein auf Stärke

3. Kniebeugen Einzelbein auf Stärke

 
4. Einbeinsprünge auf einer Sechsmeterstrecke/Zeit

4. Einbeinsprünge auf einer Sechsmeterstrecke/Zeit

Als Orientierungshilfe für die Rückkehr zum Sport hat sich gezeigt, dass ein Erreichen von >90%  an Weite, Zeit und Kraft des betroffenen Beins im Vergleich zum nichtbetroffenen Bein bei den oben dargestellten Sprung- und Krafttests das Wiederverletzungsrisiko verringert (Grindem et al., 2016, Kyritsis et al., 2016).

Physio & Co in Zusammenarbeit mit Richard Christianson (Physiotherapeut für muskuloskelettale Erkrankungen)

Literaturverzeichnis 

-  Delincé, P. und D. Ghafil (2013). "Anterior cruciate ligament tears: conservative or surgical treatment?" Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy 21(7): 1706-1707.

-  Frobell RB, Roos HP, Roos EM, Roemer FW, Ranstam J, Lohmander LS (2013). Treatment for acute anterior cruciate ligament tear: five year outcome of randomised trial. BMJ. Jan 24; 346: f232.

-  Grindem H, Eitzen I, Moksnes H, Snyder-MacklerL,Risberg MA (2012) A pair-matched comparison of return to pivoting sports at 1 year in ACL-injured patients after a nonoperative versus operative treatment course. Am J Sports Med40(11): 2509–2516.

-  Grindem H et al (2016). Simple decision rules can reduce reinjury risk by 84% after ACLreconstruction: the Delaware-Oslo ACL cohort study. Br J Sports Med. 2016 Jul;50(13):804-8. doi: 10.1136/bjsports-2016-096031. Epub 2016 May 9.

-  Hurd WJ, Axe MJ, Snyder-Mackler L (2009) Management of the athlete with acute anterior cruciate ligament deficiency. Sports Health1(1):39-46.

-  Kyritsis P et al (2016). Likelihood of ACL graft rupture: not meeting six clinical discharge criteria before return to sport is associated with a four times greater risk of rupture. Br J Sports Med. 2016 Aug; 50(15):946-51. doi: 10.1136/bjsports-2015-095908. Epub 2016 May 23.

-  Smith TO, Postle K, Penny F, McNamara I, Mann CJ (2014) Is reconstruction the best management strategy for anterior cruciate ligament rupture? A systematic review and meta-analysis comparing anterior cruciate ligament reconstruction versus non-operative treatment. The Knee 21(2):462-70.

 

Lasst uns joggen!

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Joggen ist die häufigste Form von körperlicher Betätigung für Bewegungsneulinge. Menschen joggen, weil sie fit werden, Gewicht verlieren oder den Alltagsstress abbauen wollen. Der Laufsport erfordert weder eine Clubmitgliedschaft noch eine besondere Ausrüstung und ist deshalb besonders praktisch. Alles, was es dazu braucht, ist ein Paar Laufschuhe - und die richtige Motivation! Joggen wirkt sich in mehrfacher Hinsicht positiv auf die Gesundheit aus. So kann regelmässiges Laufen unter anderem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs und Fettleibigkeitsenken. Als Realist gilt aber gleichzeitig zu bedenken, dass mehr Bewegung das Risiko für Muskel- und Knochenverletzungen erhöht. Und es gibt wahrlich nichts, was mehr demotiviert, als endlich den inneren Schweinehund zu überwinden und mit dem Joggen anzufangen, um dann bereits nach wenigen Wochen von einer Verletzung geplagt zu werden. 

Dass das Verletzungsrisiko beim Joggen relativ hoch ist, dürfte viele überraschen. In der Tat liegt das Risiko bei 20-40%. Und ist die Verletzung einmal da, ist das Risiko einer Folgeverletzung (gleicher oder neuer Art) im darauffolgenden Jahr 50% höher als bei Personen ohne vorgängige Verletzung. Die meisten laufbedingten Verletzungen (50-75%) sind auf eine Überbeanspruchung zurückzuführen und betreffen die Region vom Knie abwärts. Diese Zahlen sind nicht eben ermutigend. Vor allem aber unterstreichen sie die Notwendigkeit, die eigenen Risiken zu kennen, diese richtig einzuschätzen und, wenn möglich, zu senken, damit ein Lauftraining beschwerdefrei und ohne Motivationsverlust absolviert werden kann.

Die Risikobeurteilung ist multifaktoriell und umfasst die Hauptkategorien intrinsisch (persönlich) und extrinsisch (Umfeld). Zu den intrinsischen Faktoren gehören: Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index (BMI), bestehende Verletzungen, Lauferfahrung und physische Veranlagung. Zu den extrinsischen Faktoren gehören: Laufdistanz, Frequenz (Trainingsbelastung), Laufuntergrund und Laufschuh (Alter und Typ). Die Forschungsergebnisse in diesem Bereich sind unterschiedlich und mehrdeutig, was zeigt, dass die Senkung von Laufverletzungsrisiken keine reine Wissenschaft nach gängigem Protokoll ist. Gefragt ist vielmehr ein sorgfältiger Ansatz, bei dem der einzelne Läufer seine individuellen Besonderheiten und Eigenheiten kennen muss. Wenn auch gewisse Risiken nie ausgeschlossen werden können, gilt es, beeinflussbare Faktoren anzugehen, Alternativen zu haben und anpassungsfähig zu sein.  

Zu den unbeeinflussbaren Risikofaktoren gehört die Lauferfahrung. Studien haben gezeigt, dass Menschen mit weniger als drei Jahren Lauferfahrung mit einer 2.2-mal grösseren Wahrscheinlichkeit eine laufbedingte Verletzung erleiden werden. Diese Zahl, die den Eindruck erwecken könnte, das Scheitern sei quasi vorprogrammiert, soll uns aber keineswegs entmutigen! Dennoch ist es ausserordentlich wichtig, die eigenen Risikofaktoren zu kennen, richtig einzuschätzen, beinflussbare Faktoren entsprechend anzupassen und jene, die wir nicht beeinflussen können, zu akzeptieren. Laut aktuellsten Forschungsergebnissen sind die häufigsten Faktoren eines erhöhten Risikos für laufbedingte Verletzungen solche, die wir beeinflussen können. Zu diesen Faktoren gehören: Laufdistanzen pro Woche, Lauffrequenz pro Woche und BMI. Nehmen wir den BMI als Beispiel: Läufer mit einem BMI über 27 sind einem hohen Verletzungsrisiko ausgesetzt, was für viele auch gleich der erste Stolperstein ist. In vielen Fällen ist wiederum just die Gewichtsabnahme ein Hauptmotivationsgrund, um überhaupt mit dem Laufen zu beginnen! Eine mögliche Empfehlung zur Senkung des erwähnten Verletzungsrisikos wäre, einige Monate vor Beginn des Lauftrainings Diät zu halten und, nebst Joggen, andere Sportarten zu tätigen, bei denen der BMI ein geringeres Risiko für Verletzungen darstellt (z.B. Radfahren und Schwimmen). Mit Hilfe einer Diät und anderen Formen von körperlicher Betätigung kann der BMI gesenkt und somit der Weg zu einem mehrheitlich laufbasierten Trainingsprogramm geebnet werden.

Das Risiko einer Verletzung sollte dich nicht vom Laufen abhalten, denn die positiven Auswirkungen auf den Körper überwiegen deutlich. Dieser Blog ist in erster Linie der Vorbereitung gewidmet. Je besser die Vorbereitung, desto kleiner das Risiko, auf Hindernisse zu stossen, zu scheitern oder gar aufzugeben.  

Erfolgreiche Menschen tun das, wozu erfolglose Menschen nicht bereit sind. Wünsche dir nicht, dass alles einfacher wäre; wünsche dir, du wärst besser.
— Jim Rohn

Nimm früher die Herausforderung an. Konsultiere einen Gesundheitsexperten, um gemeinsam deine intrinsischen und extrinsischen Risikofaktoren zu eruieren und einzuschätzen. Mit diesem Wissen kannst du den richtigen Ansatz finden für deine neue körperliche Betätigung und dabei dein Verletzungsrisiko senken.   

Physio & Co in Zusammenarbeit mit Richard Christianson (Physiotherapeut für muskuloskelettale Erkrankungen)